Insights 11.06.2025
ETS2: Strategien, Herausforderungen und Optionen für die soziale Abfederung steigender CO₂-Kosten
Marc Pion

Mit der Einführung des zweiten Europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS2) ab 2027 stehen Haushalte und kleine Unternehmen vor spürbaren Mehrbelastungen durch steigende CO₂-Preise im Verkehrs- und Gebäudesektor. Deutschland, als bevölkerungsreichstes EU-Mitglied, ist besonders gefordert, einen sozialverträglichen Pfad durch die Transformation zu finden. Die soziale Flankierung des ETS2 stellt nicht nur eine politische, sondern auch eine verteilungspolitische Herausforderung dar – vor allem vor dem Hintergrund der bislang nicht realisierten Pläne zum „Klimageld“.
Der ETS2 und seine sozialen Implikationen
Das EU-ETS2 wird fossile Emissionen im Straßenverkehr und in der Gebäudewärme systematisch verteuern. Der damit verbundene Lenkungseffekt ist klimapolitisch erwünscht, trifft jedoch Haushalte mit geringen Einkommen überproportional stark – insbesondere solche in schlecht sanierten Gebäuden oder ohne Zugang zu alternativen Mobilitätsformen. Die Notwendigkeit eines sozialen Ausgleichsmechanismus ist daher nicht nur aus Gerechtigkeitsperspektive, sondern auch zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Akzeptanz zentral.
CO2-Vermeidung ist die wirksamste sozialpolitische Maßnahme
Der beste CO₂-Preis ist der, den niemand zahlen muss. Gerade bei Mietshäusern im Bestand gibt es noch immer ein riesiges Potential, beispielsweise mit intelligenter Heizungstechnik, Wärmepumpen und Photovoltaik auf dem Dach die Energieeffizienz entscheidend zu verbessern und CO2-Emissionen auf null zu bringen. Jede Tonne CO₂, die wir einsparen, wird Mieter und Eigentümer künftig entlasten und damit auch den finanziellen Bedarf für den erforderlichen sozialen Ausgleich der Transformation dämpfen können.
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Der EU-Klimasozialfonds: Potenziale und Begrenzungen
Der von der EU geschaffene Klimasozialfonds (KSF) soll zwischen 2026 und 2032 soziale Härten abfedern. Deutschland könnte bis zu 5,3 Milliarden Euro aus diesem Fonds erhalten – ein Betrag, der nach Ansicht führender Klimaökonomen jedoch nicht ausreicht, um umfassende soziale Entlastung zu gewährleisten. Zudem ist der Fonds auf EU-Ebene gedeckelt, unabhängig von der tatsächlichen Preisentwicklung im ETS2. Eine Inflationsanpassung oder automatische Skalierung bei hohen CO₂-Preisen ist nicht vorgesehen.
Alternative Finanzierungsquellen: ETS2-Einnahmen nutzen
Zusätzlich zu den Geldern aus dem KSF wird Deutschland aus der Auktion von ETS2-Zertifikaten erhebliche Einnahmen generieren. Schätzungen des Öko-Instituts und des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft zufolge könnten diese zwischen 48,5 und 237,3 Milliarden Euro betragen – abhängig vom CO₂-Preis. Diese Mittel bieten die Chance, über den KSF hinausgehend, zielgerichtete Maßnahmen zur sozialen Kompensation umzusetzen. Eine transparente und zweckgebundene Verwendung dieser Einnahmen ist jedoch bislang nicht sichergestellt.
Über all dem steht, das volle Potential zur CO₂-Vermeidung gerade in Mietshäusern zu realisieren, damit zusätzliche Lasten für Mieter und Eigentümer erst gar nicht entstehen und kompensiert werden müssen.
Sascha Müller, Vorstandsvorsitzender PAUL Tech AG
Maßnahmen zur sozialen Abfederung: Optionen und Beispiele
Ein Klimasozialplan, wie ihn die EU-Kommission fordert, könnte eine Vielzahl sozialdifferenzierter Maßnahmen enthalten. Dazu gehören:
- Einkommensabhängige Gebäudeförderprogramme, wie eine Erweiterung des Bonusmodells in der BEG-Förderung.
- Sozial-Leasing-Modelle für Elektroautos oder Fahrräder, insbesondere im ländlichen Raum.
- Direktzahlungen bei hohen CO₂-Preisen über einen zentralen Auszahlungsmechanismus auf Basis von Steuer-ID und IBAN.
- ÖPNV-Gutscheine, Carsharing-Initiativen und Investitionen in klimafreundliche Mobilitätsangebote in strukturschwachen Regionen.
- Infrastrukturprojekte wie sichere Radwege, öffentliche Ladeinfrastruktur oder Mobilitätsknotenpunkte.
Diese Maßnahmen müssen durch ein begleitendes Sozialmonitoring flankiert werden, um ihre Verteilungseffekte regelmäßig zu evaluieren.
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Politische Rahmenbedingungen und offene Fragen
Ob Deutschland den geforderten Klimasozialplan bis zum 30. Juni 2025 fristgerecht vorlegt, ist unklar. Klar ist jedoch: Das im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot versprochene Klimageld ist nicht mehr vorgesehen. Damit verlagert sich der Fokus auf indirekte Instrumente mit sozialer Staffelung. Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe soll laut Regierungsdokumenten bis Ende 2025 konkrete Konzepte entwickeln – ein ambitionierter Zeitplan angesichts der Dringlichkeit.
Empfehlungen und Ausblick
Die soziale Abfederung des ETS2 ist kein Randthema, sondern zentral für die Funktionsfähigkeit der Klimapolitik. Folgende Empfehlungen lassen sich ableiten:
- Zielgerichteter Mitteleinsatz: Einnahmen aus dem ETS2 sollten prioritär zur sozialen Entlastung eingesetzt werden.
- Soziale Staffelung verankern: Förderprogramme müssen systematisch nach Einkommensgruppen differenziert werden.
- Direktauszahlungsmechanismus vorbereiten: Auch ohne Klimageld braucht es einen funktionierenden Kanal für Härtefallhilfen.
- Pilotprojekte und Skalierung: Der KSF sollte für innovative, sozialverträgliche Maßnahmen genutzt werden, die bei Erfolg skaliert werden können.
- Langfristige Sozialverträglichkeit sicherstellen: Die Transformation muss breite Bevölkerungsschichten mitnehmen – ökologisch, ökonomisch und sozial.
ETS2: Ökologische und sozialpolitische Bewährungsprobe
Klimaschutz durch CO₂-Bepreisung ist nur dann politisch und gesellschaftlich tragfähig, wenn soziale Ausgleichsmechanismen greifen. Die Einführung des ETS2 stellt daher nicht nur eine ökologische, sondern auch eine sozialpolitische Bewährungsprobe dar. Deutschland steht vor der Aufgabe, die knappen Mittel aus dem KSF effektiv zu nutzen, eigene Einnahmen klug zu verteilen und sozialpolitische Innovationen entschlossen umzusetzen. Die Weichen für eine gerechte Transformation müssen jetzt gestellt werden.